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Datum: 15.09.2019

Was haben die Wiener Staatsoper, der Suez-Kanal und die Baptistengemeinde in Wien gemeinsam? Sie alle wurden im Jahr 1869 eröffnet bzw. Ins Leben gerufen. Begonnen hat die Geschichte der österreichischen Baptisten jedoch bereits im Jahr 1842 in Hamburg. Für den Wiederaufbau nach dem großen Brand in der norddeutschen Hafenstadt wurden unzählige Arbeitskräfte gebraucht, und so kamen auch österreichische Handwerker und wurden in die Versammlungen der Hamburger Gemeinde eingeladen. Gläubig geworden, kehrten sie 1846 nach Wien zurück und gründeten hier einen Bibelkreis. Mehr als zwanzig schwierige Jahre mussten noch vergehen, bis am 20. Dezember 1869 formell eine Gemeindegründung stattfinden konnte.

Zehn Jahre später waren aus den ersten zwanzig Mitgliedern sechzig geworden. Die Wahrnehmung der Gemeinde in der Öffentlichkeit war bereits beträchtlich und führte u.a. zu einem behördlichen Versammlungsverbot. Aber diese Krise und etliche andere Einschränkungen und Strafen konnten die missionarischen Bemühungen nicht aufhalten. Im zweiten Jahrzehnt des Bestehens wurden Taufen in Preßburg (Bratislava) und Ternitz abgehalten, in Graz und Prag wurden Gemeinden gegründet. In Österreich jedoch fehlte weiter die staatliche Anerkennung, sodass die Miete von Lokalen und weitere Geschäftstätigkeiten nur über die Gründung von nicht religiös ausgerichteten Vereinen möglich war. Ein erster Antrag auf Anerkennung als Kirche im Jahr 1906 wurde reichlich verzögert drei Jahre später abgelehnt. Nach Gründung des Hilfsvereins der Baptisten 1922 konnte die Gemeinde zwei Gemeindehäuser (1923 Ternitz, 1924 Wien-Mollardgasse) bauen.

Ist die Gemeinde in der Mollardgasse die älteste Freikirche Österreichs?

Die Täufergemeinden der Reformationszeit waren in vielen Aspekten bereits freikirchlich verfasst. Insofern wurde die Erinnerung an den täuferischen Prediger und Theologen Balthasar Hubmaier, der 1528 nicht zuletzt wegen seiner Auffassung über die Kirche verbrannt wurde, auch in der Wiener Baptistengemeinde immer hoch gehalten worden. Die täuferischen Gemeinden wurden jedoch allesamt verfolgt und in wenigen Jahren aus Österreich vertrieben.

Woher kommen die Baptisten?

Im Jahr 1609 entdeckten aus England geflohene Puritaner und kirchenkritische Anglikaner bei holländischen Mennoniten (Täufergemeinden) die Glaubenstaufe. Die Mitglieder der nach England zurückgekehrten Gemeinde wurden kurze Zeit später erstmals als Baptisten bezeichnet. Bereits zwanzig Jahre danach wurde eine nordamerikanische Baptistengemeinde und ebenso im Jahr 1639 mit Rhode Island die erste amerikanische Kolonie auf der Grundlage baptistischer Überzeugungen gegründet.

Erst 1834 gründet der in einer englischen Methodistengemeinde gläubig gewordene Johann Gerhard Oncken in Hamburg die erste Baptistengemeinde auf dem europäischen Kontinent. Von hier aus beginnt eine Missionsbewegung vor allem im deutschsprachigen Europa, so wie im Osten und Südosten („Donauländermission“) des Kontinents.

Was bewegt die Baptisten?

„Die Bibel hat Schuld daran“ war eine Rechtfertigung Johann Gerhard Onckens, wenn er von Kirchenvertretern und Behörden zur Stellungnahme aufgefordert wurde. Damit drückt sich auch aus, dass der Baptismus generell aus dem persönlichen Bibelstudium heraus seinen Anfang genommen hat. Die Leitfrage dabei war die Suche nach dem Wesen der neutestamentlichen Gemeinde, das es neu zu entdecken und zu verwirklichen galt.

Insofern sind Baptisten auch erst über die Frage nach dem Wesen und der Gestalt der Gemeinde zur Erkenntnis und Praxis der Glaubenstaufe gekommen. Die anhand des Schriftstudiums gewonnenen Überzeugungen vom „Priestertum aller Gläubigen“ und von der versammelten Gemeinde als entscheidender Instanz, in der sich der Wille Gottes in der Leitung durch Wort und Geist durchsetzen würde, führten erst zur Frage der Aufnahme in die Gemeinde.

Aus der Überzeugung heraus, dass die Gemeinde Jesu nicht um ihrer selbst willen da ist, wurde die Heiligung des Einzelnen und der Gemeinde und die Mission in Evangelisation und Diakonie selbstverständliche Lebenszeichen. Dazu gehört der Einsatz für die Menschenrechte, beginnend bei der Religions- und Gewissensfreiheit, und der Horizont des Reiches Gottes, um dessen Kommen Baptisten seit je her gemeinsam mit Christinnen und Christen aus allen Kirchen gebetet haben.

Wie feiert eine Gemeinde ihr 150-jähriges Bestehen?

Nach einer Veranstaltungsreihe zum Wort Gottes zu Beginn des Jahres, einem offenen Haus bei der Langen Nacht der Kirchen und verschiedenen Missionseinsätzen im Frühjahr wird es vom 23. bis 27. September eine Woche zur Geschichte geben, am 12. Oktober ein Straßenfest, und am Samstag 23. November um 11 Uhr einen Festgottesdienst zur Erinnerung an das Gründungsjubiläum am 20. Dezember 1869. Dokumentiert werden Veranstaltungen, Vorträge und Feierlichkeiten in einer Festschrift, die am Ende des Jubiläumsjahres erscheinen wird.

Ein ganzer Bund feiert mit

Am Sonntag 22. September um 13 Uhr sind alle Gemeinden des Bundes zu einem Festgottesdienst in die Gustav-Adolf-Kirche in Gumpendorf eingeladen. Es predigt der Präsident des Weltbundes, Rev. Paul Msiza aus Südafrika. Gäste aus Deutschland und den übrigen Nachbarbünden und Vertreter der Freikirchen in Österreich und aus Allianz und Ökumene werden erwartet. Jeder ist herzlich willkommen.

 

Autor: Dietrich Fischer-Dörl