Datum: 03.03.2021
Das ist schon seit den Zeiten der Psalmen so. Da klagt David: „Gott, hilf mir! Ich versinke im tiefen Schlamm, da kein Grund ist; ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ersäufen!“ Dieses bodenlose Gefühl der Bedrohung und Verlorenheit hat in unseren Tagen viele Menschen befallen. Corona ist allgegenwärtig.
Menschen haben unterschiedliche Intensität der Angst
Eines der frühesten Gefühle eines Kindes ist die Angst. Dabei ist Angst auch ein Warnsignal, das uns schützt vor Gefahren. Doch oftmals ist Angst ein quälendes Gefühl: Kriegsangst, Angst vor Terror, Atomangst, Umweltangst, Angst vor dem finanziellen Crash bis hin zu ganz persönlichen Ängsten.
Nicht alle Menschen sind gleich. Die einen haben mangelnde Selbstsicherheit, Vorsicht und Zurückhaltung im Übermaß. Es sind oft die Sensiblen, die derart ängstlich reagieren. Doch da gibt es auch die andern: Sie zeigen Offenheit und Neugier bis hin zur gefährlichen Abwesenheit von Angst.
Warum macht Corona so viel Angst?
In meiner Sprechstunde ist Corona allgegenwärtig. Unsichtbar und doch ständig gegenwärtig lauert die Bedrohung einer Infektion, und man weiß nie, was danach wird. Die erhöhte innere Anspannung führt zu psychosomatischen Störungen. Und da sind ganz praktische Probleme: überlastete Mütter, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken können, die ganze Familie im Homeoffice in einer engen Wohnung; Besuche bei Eltern oder Großeltern sind verboten; bei einem Todesfall ist man in der Trauer allein gelassen. Eine Psychologin sagte vor kurzem: „Diese Pandemie wird Narben der Angst hinterlassen!“
Abwehr und Aggression
Doch da gibt es noch mindestens zwei weitere Wörter mit A, nämlich „Abwehr“ und sogar „Aggression“. Gerade diejenigen, die nach außen weniger Angst haben, leben in der Illusion einer Unverwundbarkeit: „Die anderen mag es ja treffen – mich nicht!“ Sie leben riskant und geben sich unbekümmert – nach außen: Vielleicht ist es auch nur ein Überdecken, ein angestrengtes Wegschieben der Angst?
In den Informationsblasen des Netzes tun sie sich oft zusammen und verharmlosen die gesamte Situation. Corona ist nur eine Grippe! Diese Parallele hört spätestens auf, wenn man sich überlastete Spitäler in Bergamo oder in Spanien vor Augen führt, Aufbahrungshallen in Eisstadien oder Gräberfelder in Südamerika. Gefährlich wird es dort, wo in dieser Unbekümmertheit auch wesentliche Schutzmaßnahmen außer Acht gelassen werden.
Aggression: Für freiheitsliebende Menschen sind die aktuellen Einschränkungen besonders schwer zu ertragen. Das Verbot von sozialen Kontakten, unbeschwerter Gemeinschaft im Restaurant oder im Club – all das zehrt schwer an den Gefühlen. Oft entsteht dadurch Aggression, und in der Folge angst-getriebene Verschwörungstheorien:
• Wer Corona leugnet, der hat nicht weniger Angst, sondern eher sogar mehr
• Für diese Menschen ist Corona nicht nur eine Krankheit, die wir einmal überwinden werden, sondern ein Fanal für eine neue Weltordnung
• Die Impfung ist nicht Schutz vor Krankheit, sondern möglichweise eine neue, noch schlimmere Bedrohung
Somit zeigt sich in der Corona-Pandemie eine neue Form der Angst, die weit über die Krankheit hinaus geht, nämlich tiefsitzende Ängste vor Weltuntergang und Zerstörung unserer Zivilisation.
Gelassenheit, Gottvertrauen, Geduld
Der Fixierung auf die Pandemie möchte ich drei Wörter mit G entgegenstellen. Da ist einmal die Gelassenheit.
• Ja, Corona ist eine große Gefahr
• Ja – ich bin nicht unverwundbar
• Ich versuche mich zu schützen, so gut ich kann
Aber ich habe keine Garantie davor, nicht auch selbst zu erkranken. Vielleicht fällt eine solche Sichtweise demjenigen leichter, der bereits dem Tod ins Auge geschaut hat.
Für mich kommt dabei aber auch noch ein weiterer Faktor dazu: das Gottvertrauen. Den Ängsten vor Weltuntergang setze ich die Hoffnung entgegen, dass Gott über allem steht, und mein Leben in seiner Hand ist. Das Lied von Dietrich Bonhoeffer begleitet mich: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Vorsorgen und Gottvertrauen
Aus einer alten Fabel ist folgende Geschichte überliefert: Da kommt ein Mann zum Rabbi und fragt: „Soll ich mein Reittier anbinden oder soll ich Gottvertrauen haben?“ Der Rabbi antwortet: „Binde es an und hab Gottvertrauen!“
Was lernen wir daraus? Beides ist wichtig: Achtsamkeit und Selbstschutz, mir und anderen zuliebe, aber auch das Vertrauen, dass Gott da ist, komme, was da wolle. Gepaart mit Geduld werden wir miteinander diese dunkle Zeit von Corona überwinden.
Autor: Dr. med. Samuel Pfeifer
Der Schweizer Samuel Pfeifer, Jahrgang 1952, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben und hält Vorträge, in denen er sich mit dem Zusammenspiel von Medizin, Psychologie und christlichem Glauben beschäftigt.
Quelle:Livenet.ch
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