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Datum: 10.06.2020

Anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni findet auch heuer wieder der Welt-Flüchtlings-Sonntag statt. Kirchen, Gemeinden aber auch Christen im ganz privaten Rahmen sind aufgerufen, an einem dieser Sonntage der Flüchtlinge zu gedenken und für sie zu beten. In der Juni-Ausgabe des Allianzspiegels findet sich im Innenteil entsprechendes Begleitmaterial und nachfolgender Bericht.

 

Samiras Eltern heirateten aus Liebe, was in ihrem Land, Afghanistan, ungewöhnlich ist. Ihre Mutter war Paschtunin (sunnitische Muslima) und ihr Vater Hazara (schiitischer Muslim), zwei entgegengesetzte und ethnisch verfeindete Gruppen. Die Folgen der Liebe ihrer Eltern wurden von Samira und ihren Brüdern bezahlt, die ihr ganzes Leben im Kreuzfeuer zwischen Verwandten lebten. Samira selbst wurde mit sechs Jahren von ihrem Onkel vergewaltigt. Diese Erinnerung hat heute immer noch traumatische Folgen. Samira heiratete und bekam 2012 ihre erste Tochter in ihrem Dorf Qarabagh (200 km südlich von Kabul). Einige Monate später mussten sie und ihr Mann die Entscheidung treffen, in den Iran zu fliehen. Die Verfolgung ihrer mütterlichen und väterlichen Verwandten war zu schwer zu ertragen, und natürlich gab es den Krieg.

„In Afghanistan gibt es immer Krieg.“

Sie verbrachten sechs Jahre im Iran, wo sie zwei weitere Kinder bekamen, aber die Diskriminierung und Verfolgung hörte nicht auf, diesmal von der Gesellschaft und der Regierung. Also beschlossen sie, zunächst über die Türkei nach Europa zu gelangen. Sie hatten genug Geld, um mit anderen Flüchtlingen in einem großen Boot nach Italien zu fahren und so das gefürchtete Griechenland zu umgehen. Aber ihr Plan wurde vereitelt, als der Schmuggler, dem sie vertraut hatten, ihr ganzes Geld nahm. Von hier an wurde alles dunkel.

„Je weiter ich gehe, desto schlimmer wird alles.“

Samira wollte den Diebstahl der Polizeistation melden, aber die Polizei brachte sie ins Gefängnis, anstatt ihr zu helfen. Und mit ihr auch ihre 7- und 4-jährigen Töchter und ihr 2-jähriger Junge. Sie wurde elf  Tage lang von ihren Kindern getrennt und von der Gefängnispolizei misshandelt und geschlagen. Das war erst der Anfang. Nach den Tagen der Isolation wurden sie und ihre Kinder zusammen mit den übrigen Gefangenen überstellt: Diebe, Mörder, Menschenhändler und Terroristen des Islamischen Staates.

Ihr Mann, der nicht mit ihr gegangen war, um die Beschwerde einzureichen, konnte einen Anwalt bezahlen, um seine Frau und seine Kinder aus dem Gefängnis zu holen. Nach zweieinhalb Monaten wurden Samira und ihre Kinder freigelassen. Doch gleich nach ihrer Freilassung wurden sie vom gleichen Schmuggler, der sie ausgeraubt hatte, bedroht, weil er herausgefunden hatte, dass sie ihn gemeldet hatten. So mussten sie ihre Pläne beschleunigen und die Türkei so schnell wie möglich verlassen. Sie hatten nur noch eine Option: Lesbos.

Am 17. Juli 2019 stiegen Samira, ihr Ehemann und drei Kinder mit neun weiteren Personen in ein Boot. Das Meer war an diesem Tag überhaupt nicht ruhig. Nach fast fünf Stunden Überfahrt und in unmittelbarer Nähe der Küste Griechenlands hätte eine Welle das Boot fast umgeworfen. „Sieben Menschen sind ins Wasser gefallen. Ich auch." Das Boot begann zu sinken. Die Gefahr, dort zu sterben, wurde immer realer. Glücklicherweise hat ein Fischerboot in der Nähe sie gesehen und gerettet. Nur wenige Minuten, nachdem sie vor der Tür des Todes standen, betraten Samira und ihre Familie endlich den lang ersehnten Boden Europas.

Samira hätte jedoch nie gedacht, dass sie in Europa so harte Bedingungen vorfinden würde wie in dem Flüchtlingslager in Moria.

„Griechenland (Lesbos) ist wie Afghanistan ... kein Licht, kein Wasser, keine Ruhe“

Jetzt leben Samira, ihr Ehemann und drei Kinder auf einer Fläche von etwa vier Quadratmetern in einem Zelt, das sie mit einer anderen Familie teilen. Es ist ein unangenehmer, kleiner Ort ohne jegliche Privatsphäre. 

„Ich möchte, dass meine Kinder eine gute Schule besuchen, gute Menschen sind und ein gutes Leben führen können. Ich möchte nicht, dass sie dasselbe erleben müssen, was ich erlebt habe.“

Quelle: GAiN - Global Aid Network

 

Autor: Pau Abad, Dennis Fierbach, Global Aid Network