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Datum: 08.08.2024

Die Qual der Wahl oder die Wahl des kleineren Übels

Sollen Christen sich in der Politik engagieren?

Als Christen sind wir zu weit mehr berufen, als das Evangelium zu verkünden und Nächstenliebe zu üben. Ja, Jesus hat seine Jünger dazu aufgerufen, das Reich Gottes zu verkünden – aber das beinhaltet wesentlich mehr als bloße „Bekehrung“. Seit der Schöpfung sind wir beauftragt, die Welt zu gestalten. Dies geschieht – wenn wir in einer demokratischen Gesellschaft leben – über Demokratie, also über politisches Engagement. Gleichzeitig sehen wir in der Bibel an vielen Stellen, dass Gott seine Leute dazu gebrauchte, weltliche Königreiche zu segnen. Deshalb bin ich überzeugt, dass Gott auch heute noch Menschen in die Politik genauso wie in den Gemeindedienst beruft.

Es gibt keine einfachen Antworten.

Wir Menschen teilen alles gerne in Schubladen ein. Am liebsten ist uns, wenn es ein klares Gut und ein klares Schlecht gibt. Dieses Denken hat schon mit der Ursünde zu tun. Der Teufel sagte zu Eva: „Wenn ihr davon esst, könnt ihr Gut und Böse unterscheiden und werdet dadurch sein wie Gott!“ Diese Sehnsucht in uns Menschen ist es, die dazu führt, dass Massen auf Populisten reinfallen und sich für Dinge begeistern, die bei näherem Hinsehen vielleicht doch nicht so begeisternd sind.

Doch die Welt ist komplex, und es gibt keine einfachen Antworten. Das merkt man schon beim Familien- oder gar Gemeindeausflug. Je größer ein System wird, desto mehr unterschiedliche, berechtigte und wichtige Sichtweisen kommen hinzu. Nehmen wir Barrierefreiheit als Beispiel. Für Blinde sind die taktilen Streifen auf dem Boden sehr wichtig, um sie zu ertasten und sich daran orientieren zu können, für Rollstuhlfahrer sind sie fast so schlimm wie Kopfsteinpflaster. Was soll man also tun, wenn man Barrierefreiheit herstellen will?

Wenn wir etwas für alle tun wollen, müssen wir lernen abzuwägen und Kompromisse zu machen. Schon die Überzeugungen innerhalb einer Partei gehen auseinander, aber dann regiert man auch noch in einer Koalition. Damit kommt nie zu 100 Prozent das raus, was man sich wünscht. Ziel guter Politik ist also, Kompromisse hinzubekommen, die trotzdem etwas erreichen, akzeptiert werden und Bestand haben.

Das ist einer der Hauptkritikpunkte an der Politik – oftmals erwarten wir, vor allem von „christlichen Politikern“, dass sie klar und eindeutig, ohne Kompromisse, für die Wahrheit einstehen. Schnell werfen wir ihnen vor, die eigenen Werte verraten zu haben. Aber ohne Kompromisse ist man nicht koalitionsfähig und erreicht als Politiker gar nichts.

Politik besteht in der Kunst, Kompromisse zu machen.

Wenn es keine einfachen Antworten gibt, wie sollen wir Christen uns dann im Bezug auch Politik verhalten?

Wir müssen lernen, politisch zu denken. Gerade weil politische Fragen komplex sind, können wir uns nicht mit einfachen Antworten zufriedengeben. Bei einzelnen Themen können wir uns vielleicht einig sein, dass Gott es gut findet und andere wiederum schlecht, aber über die allermeisten Themen in unserem Alltag sagt die Bibel nichts oder bietet unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Genau dann sind wir gezwungen, selbst abzuwägen, was wir selbst als richtig ansehen, orientiert an dem, was wir von Gott erkannt haben. Dann müssen wir uns aber auch bewusst sein, dass jemand anderer, der ebenso glaubt, zu einem anderen Ergebnis kommen kann.

Wie komme ich dann zu einer guten Wahlentscheidung?

Ein guter Start: Beten. Du wirst keine Partei und keinen Kandidaten finden, dem du 100 % zustimmen kannst (außer wenn du selbst kandidierst). Was aber helfen kann, die bestmögliche Entscheidung zu treffen, sind Fragen wie:

  • Was sind die Themen, die ich derzeit am wichtigsten finde? Wer beantwortet diese Fragen auf eine Weise, wie auch ich sie beantworten würde? Traue ich ihnen zu, diese Dinge auch dann umzusetzen, wenn sie in einer Koalition sind?
  • Wenn plötzlich eine unvorhersehbare Krise kommen würde, wem würde ich am ehesten zutrauen, diese Krise positiv zu lösen?
  • Was für ein Zukunftsbild hat die Partei/der Kandidat? Ist es von Angst oder von Zuversicht geprägt?
  • Setzt sich die Partei für das Wohl aller oder nur für bestimmte Gruppen der Gesellschaft ein?
  • Wenn wir für Politiker beten und glauben, dass Gott deren Herzen lenken kann – bei welchem Politiker kann ich mir am ehesten vorstellen, dass er sich von Gott lenken lässt? Wie passen Worte und Taten des Politikers zusammen? Kann ich jemanden wählen, der das richtige sagt, aber unglaubwürdig ist? Kann ich jemanden wählen, der glaubwürdig ist, aber fragwürdige Ansichten hat?
  • Was für ein Menschenbild habe ich selbst, welches erkenne ich in der Bibel? Was für ein Menschenbild und welche Ideologie prägen eine Partei?

Wesentliche Unterschiede gibt es im Menschenbild einer jeden Partei. Und hinter jeder Partei steckt eine eigene Ideologie. Jede hat ihre berechtigten Seiten, aber auch Probleme. Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch von Grund auf gut ist und sich deswegen für das Gute einsetzt – wird das aber wegen des Egoismus des Menschen nicht funktionieren. Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch schlecht ist und er dazu gezwungen werden muss, das Gute zu tun, führt das meistens zu Diktaturen und funktioniert nicht, weil Gott uns mit einer Sehnsucht nach Freiheit geschaffen hat, indem er uns den freien Willen gegeben hat.

Du siehst, es führt kein Weg daran vorbei dich selbst zu informieren und viele Fragen im Gebet zu bewegen. Bestimmt wird sich auch deine politische Einstellung im Laufe deines Lebens verändern. Vielleicht wird es dir ähnlich gehen wie mir: Je mehr ich von Politik verstehe, desto mehr treibt es mich ins Gebet.

Wir sind in der Welt aber nicht von der Welt. Das hat zur Folge, dass wir gerufen sind, die Welt zu prägen, aber wir unser Heil nicht in der Welt suchen sollen. Wir können nicht erwarten, dass wir durch Politik das Reich Gottes aufrichten können. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der es einen Konkurrenzkampf der Werte gibt, und gerade hier haben wir eine Chance und einen Auftrag, unsere Gesellschaft zu prägen.

Text: Oliver Stozek