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Datum: 13.03.2023

Am 15. März beginnt vor dem Bezirksgericht für den Bezirk „Sowjet“ der sibirischen Stadt Tomsk ein Strafverfahren gegen die Musikerin und Lehrerin Anna Chagina. Dies geht aus der Website des Gerichts hervor. Im Falle eines Schuldspruchs drohen der 43-jährigen, die aufgrund ihres christlichen Glaubens den Angriffskrieg gegen die Ukraine ablehnt, bis zu drei Jahre Haft oder eine hohe Geldstrafe wegen "Diskreditierung der Streitkräfte der Russischen Föderation".

Bereits im März 2022, zwei Tage nach Einführung des Tatbestands der Diskreditierung, wurde eine Verwaltungsstrafe gegen Frau Chagina verhängt, weil sie bei einem Protest gegen den Krieg ein Plakat mit dem Text "Selig sind die Friedensstifter" hochgehalten hatte.

Danach wurde Frau Chagina wegen ihrer Postings gegen den Krieg in den sozialen Medien nach Artikel 280.3 des Strafgesetzbuchs angeklagt. Sie hatte unter anderem eine Petition russisch orthodoxer Priester gegen den Krieg weitergeleitet, Onlinedebatten über den Krieg aus einer christlichen Perspektive und aktuelle Meldungen über das Strafverfahren gegen den orthodoxen Priester Ioann Kurmoyarov veröffentlicht. Im November 2022 wurde sie nach einer Durchsuchung ihrer Wohnung in Tomsk verhaftet und einen Tag festgehalten. Ab diesem Zeitpunkt wurden ihr Einschränkungen auferlegt, darunter ein Internetverbot. Später musste sie eine Vereinbarung unterschreiben, keine Informationen über die Ermittlungen weiterzugeben. Personen, die in dem Strafverfahren als Zeugen aussagen sollen, mussten auch solche Vereinbarungen unterschreiben.  "Es war mir wichtig, den Menschen meine Position zu vermitteln", erklärte Anna Chagina gegenüber dem Medienprojekt Govorit Ne Moskva noch bevor sie die Vertraulichkeitsvereinbarung abschließen musste. "Ich bin darauf vorbereitet, dass mich der Staat dafür bestrafen wird. Soweit ich verstehe, droht mir entweder eine Gefängnisstrafe oder eine sehr hohe Geldstrafe. Ich habe keine Angst davor."

Die Ermittlungsbehörden in Tomsk waren nicht bereit, auf Anfrage von Forum 18 bekannt zu geben, weshalb es als Diskreditierung gelten soll, wenn sich jemand aus religiösen Gründen gegen den Ukrainekrieg ausspricht.

In St. Petersburg wird der Prozess gegen den seit seiner Festnahme im Juni 2022 in Haft befindlichen orthodoxen Priester Ioann Kurmoyarov am 10. April fortgesetzt.

Derzeit wird in der Staatsduma ein neuer Gesetzesentwurf erörtert. Im Falle des Inkrafttretens in der geplanten Form würden die Strafen gemäß Artikel 207.3 (Verbreitung bewusst falscher Informationen über die Streitkräfte) und 280.3 (Diskreditierung) wesentlich verschärft und die genannten Artikel würden auch die Kritik an "freiwilligen Formationen, Organisationen und Personen, die die Streitkräfte der Russischen Föderation bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen" als "Diskreditierung" oder "Falschinformation" unter Strafe stellen. Die Definition der dadurch geschützten Verbände würde auch private Söldnertruppen wie Wagner mit einschließen. 

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 10. März 2023). 

Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA