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Datum: 11.04.2019

Unterwegs in den Weiten Sibiriens. Bei Temperaturen bis minus 58° C. Und dann landen diese „Abenteurer“ Gottes auch noch vor Gericht.

Gemeinsam mit einem Team von AVC habe ich mich auf eine 12.000 Kilometer lange Reise durch Sibirien gemacht. Mit unserem Spezialfahrzeug sind wir unterwegs, um dort unerreichte Völker zu besuchen und ihnen das Evangelium zu bringen. Im eisigsten Winter seit langem kommen Menschen und Maschinen an ihre Grenzen. Selbst das Spezialfahrzeug muss immer wieder in die Werkstatt, um bei warmen Temperaturen repariert zu werden. Doch all dieser Aufwand ist nötig, um die Menschen in den abgelegenen Gegenden die gute Nachricht zu bringen.

Im Sperrgebiet Als wir das militärische Sperrgebiet nahe Alaska erreichen, steckt die Sondergenehmigung für die Durchfahrt noch im Labyrinth der Bürokratie fest. Wagemutig beschließen wir, trotzdem loszufahren. Was für die russischen Staatsbürger wie mich kein Problem ist, könnte für die mitreisenden Europäer eine Deportation bedeuten, sollten wir auffliegen. Der Chef des dortigen FSB – ehemals KGB – bestätigt aber auf Anfrage, dass wir ruhig einreisen können. Die Erlaubnis in elektronischer Form reiche aus, und diese könne ja eintreffen, bis wir am Ziel ankommen. Im schlimmsten Fall drohe uns eine Strafzahlung von 300 Rubeln (rund 8 EUR) pro Person. Angesichts des überschaubaren Risikos fahren wir los.

Attraktion Gerichtsprozess Gegen 2 Uhr nachts erreichen wir Chokurdakh, ein 2500-Seelen-Dorf mitten im Nirgendwo. Im Umkreis von etwa 500 Kilometern lässt sich nichts ausmachen – außer Schnee. Dass wir hier, und zumal mit unserem monsterartigen Vehikel auffallen, liegt auf der Hand. Und prompt stehen um 9 Uhr morgens Polizeibeamte auf unserer Türschwelle, zwecks Begutachtung unserer Einreiseerlaubnis. Mit flauem Gefühl im Magen starten wir unseren Computer, doch aus dem Maileingang starrt uns Leere entgegen. Wir werden genötigt, die polizeiliche Amtsstube aufzusuchen, wo der Computer der Beamten dasselbe Resultat liefert. Somit wird der Fall dem Gericht übergeben, vor dem wir um 16 Uhr zu erscheinen haben.

Das ganze Dorf versammelt sich im Gerichtssaal, denn niemand will sich diese „Attraktion“ entgehen lassen. Denn in dieser Einöde ist eine Verhandlung gegen Ausländer ein Ereignis, das es rechtfertigt, selbst die Tankstelle, die Apotheke und Dorfläden dicht zu machen, um dabei zu sein.

Ungewöhnliche Gerichtsverhandlung Mit grimmiger Miene wirft uns die Richterin vor, ohne Erlaubnis ins Sperrgebiet eingedrungen zu sein. Wir halten entgegen, dass eine Anmeldung beim FSB vorliege, was dessen ebenfalls anwesender Chef bestätigt. Da werden die Gesichtszüge der Richterin etwas weicher. Sie fordert uns auf, die Gründe unserer Reise darzulegen – nicht ahnend, dass sie damit eine zweistündige Evangelisationsveranstaltung einleiten würde.

Vor dem versammelten Dorf erzählen wir nun die gute Nachricht von Jesus Christus. Ich berichte von meiner persönlichen Erfahrung, dass ich nach einem Unfall fünf Stunden tot war und wieder zum Leben zurückgekehrt bin. Die Mitangeklagten aus Weißrussland singen Lieder. Das Ganze mutiert zu einer evangelistischen Veranstaltung mit vollem Saal, die wir niemals so hätten organisieren können.

Ohne Begeisterung verhängt die Richterin eine Buße von 2000 Rubeln – rund 40 EUR – und fügt mit offensichtlicher Sympathie hinzu: »Wenn Sie das nächste Mal in Chokurdakh sind, klopfen Sie zuallererst bei mir an, selbst wenn Sie mitten in der Nacht ankommen. Ich werde dann sämtliche Formalitäten für Sie regeln.«

Die 2000 Rubeln Buße sind für uns leicht zu verkraften, und der Gedanke, der in mir hochkommt, lässt mich schmunzeln: Ungefähr so hoch wäre vielleicht die Saalmiete ausgefallen. Gott hat Humor – und ein pulsierendes Herz für diese Menschen am unterkühlten Ende der Welt.

 

Autor: Andreas Berglesow (AVC)