Die Trennung von Kirche und Staat war im 16. Jahrhundert nicht gegeben. Die Täufer traten bewusst für diese institutionelle Trennung auf und ein (z.B. Thomas Müntzer, Bauernaufstände 1525). Letztlich wurde sie erst im 19. Jahrhundert realisiert. Die „religiöse Marktführung“ der dominierenden römisch-katholischen Kirche bröckelte jedoch schneller als gedacht: Seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) galt der „befriedende“ Grundsatz „Cuius regio, eius religio“ (Latein für „Wessen Gebiet, dessen Religion“). Dies führte allerdings nicht unmittelbar dazu, dass man seine Konfession frei wählen konnte; denn wieder gab eine kirchliche Obrigkeit den Ton an, diesmal eine von dreien: katholische, lutherische oder reformierte Kirche. Ausnahme bildeten nur geistliche Fürstentümer und Reichsstädte, wo die Bewohner „andersgläubig“ sein durften.
Da die Täufer die Kindertaufe ablehnten, lag „sozialer Aufruhr“ in der Luft: wer nicht im offiziellen Taufregister eingetragen ist, kann nicht für Kriegsdienst und Landesverteidigung herangezogen werden, zählte nicht als „Untertan“. Die Täufer verweigerten damit sowohl der kirchlichen als auch der weltlichen Obrigkeit (die das Blutsgericht innehatte und somit über Leben und Tod entscheiden konnte) den Gehorsam. Anderseits hatten sie dadurch auch keine Rechtssicherheit. Sie konnten ergo „jederzeit“ vertrieben oder ausgewiesen werden. Generell gesprochen durften „Untertanen“ ihr Land nicht frei wählen, sondern waren an die Scholle gebunden. Das ius emigrandi galt nur für Katholiken und Lutheraner, alle anderen mussten illegal auswandern. Es war sehr schwer Hab und Gut unter diesen Umständen zu verkaufen.
Oft versammelten sich Taufgesinnte daher im Grenzgebiet, wo zwei oder drei obrigkeitliche Verantwortlichkeiten zusammenkamen (z.B. Stadtgebiet, Klostergebiet), und Grenzen nicht exakt definiert waren (gut nachweisbar z.B. im Kanton Graubünden). Das hatte bei Verrat zudem folgenden Vorteil: bis die obrigkeitliche Zuständigkeit geklärt war, waren sie längst in das nächste Gebiet geflüchtet. Wer keine Wahl hat, kann noch immer „smart“ sein!
Täuferische Emigration stand auf der Tagesordnung. Die Fluchtrouten verliefen entlang des Inn, Salzach und Donau und bedurften höchstkluger Logistik und ein Netzwerk von vertrauenswürdigen Helfern. Lebensmittel wurden an diversen Plätzen versteckt, um das Überleben auf der Flucht zu sichern. Nur ein Verräter konnte die ganze Mission zum Scheitern bringen. In Mähren fand die Flucht (vorläufig) ihr Ende: der dortige protestantische Lehensherr (Liechtensteiner) sah in ihrem Ansiedeln einen Gewinn für seine dünn-besiedelten Gebiete und lud die Täufer regelrecht ein „zu kommen, um zu bleiben“. Nach 1622 nahm die Auswanderungswelle auch in mährischen Gebieten wieder Fahrt auf: besonders Hutterer mussten wieder nach neuem Lebensraum suchen. Sie kamen u.a. bis ins russische Zarenland, Ukraine, USA und schließlich nach Kanada.
Der positive Nebeneffekt einer Trennung von Kirche und Staat war ein Streben bzw. eine Forderung von Religionsfreiheit: die Schweizer Brüder beispielsweise sahen es nicht ein, Buße für das Fernbleiben des reformierten Gottesdienstes zu zahlen. Wenn eine Kuh als Strafe gepfändet werden sollte, klagten die Besitzer auf Diebstahl. Sie sahen sich als „direkt Gott untergebene“ Menschen. Es drohte der Landesverweis, wenn man eine „freiwillige“ Rückkehr in die reformierte Kirche ausschlug. Die Rechtsgültigkeit wurde mit der Bibel, also Gottes Wort und Wille, allein begründet und nicht mit Gesetzen, die die Obrigkeit diktiere und exekutiere. Aber auch Hans Landis‘ Argumente von Exodos 19,5 („Das Land gehört Gott“) und Psalm 24,1 („Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.“) reichten hier nicht aus.
Kindertaufe oktroyiere einen Glauben auf, der eine (mündige) freie Entscheidung aus dem Herzen vorwegnähme, aber genau gegen so eine Zwangsvorstellung richten sich die Täufer. Sie wollten an einem Ort „frei“ leben und glauben dürfen. Politisches Denken wurde religiöser Kritik unterzogen, wie es auch später die Baptisten einforderten. Der Konformismus setzte absolutistisches Herrschen voraus und stellte für die Täufer ein Angriff auf Privates dar, sie konnten aus ihrer Sicht nur „anders“ handeln (obwohl es als Staatsverbrechen gesehen war), um ihre Überzeugungen zu leben. Ihr Glaube an Gott war ihnen wichtiger als Verlust von Geld und Besitz oder die Androhung von Zuchthaus und Folter. Daher ihre hohe Leidensbereitschaft. Man nennt sie auch „Nonkonformisten“. (Dazu sei auf „täuferische Impulse“ in Steyr verwiesen: https://www.non-con-form.at/)
Die Täufer waren anderen nicht gleichgestellt, sondern aus Gnade und auf Zeit geduldet; bei einem Herrscherwechsel konnte sich das Blatt gleich massiv ändern. „Individuelle Freiheit“ wurde erst im 17. Jahrhundert auf Rhode Island als allgemeines Grundrecht deklariert: Rhode Island wurde 1636 durch den Baptisten Roger Williams als britische Kolonie gegründet, nachdem er selbst vor religiöser Verfolgung durch die puritanische Massachusetts Bay Colony fliehen musste. Zuvor hatte er eine Lanze für die indianischen Ureinwohner gebrochen, die er als gleichwertig ansah.
Die „Freyheit des Gewissens / und der Religion“ würden – entgegen der Meinung des politischen Theoretikers Petrus Valckenier 1677 – einen Staat auch reich machen können, siehe England unter Cromwell, oder auch Polen, Türkei oder Niederlanden. Die Union von Utrecht (1579) ermöglichte beispielsweise ein friedliches Bündnis von (protestantischer) Nordunion und (katholischer) Südregion in den Niederlanden. Das geeinte Ziel war, den Kampf gegen die spanischen Truppen zu verstärken und die Religionsfreiheit für die protestantische Bevölkerung zu sichern.
1683 setzten sich täuferisch-gesinnte Gruppen für Religionsfreiheit und Selbstverwaltungsrechte in Pennsylvania/ Philadelphia ein. Im 19. Jh. griffen liberal-demokratische Kräfte, wieder inspiriert durch Baptisten, diesen Gedanken der Religionsfreiheit (im Übrigen für Juden, Christen, Muslime) wieder auf und entwickelten gemeinsam mit Quäkern und anderen Gruppen die Aufnahme der Glaubens- und Gewissensfreiheit in die Verfassungen: Der US-Kongress darf beispielsweise kein Gesetz erlassen, dass die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat oder freie Religionsausübung verbietet (Realisierung in der US-Verfassung).
Man könnte sagen, dass das „Blut der Märtyrer“ sowohl den Weg zur Religions- und Konversionsfreiheit (meint das Recht den Glauben wechseln zu können) als auch Demokratie gepflastert hat. Schließlich mündeten diese Gedanken in der Erklärung der Menschenrechte (1948).
Verena Schnitzhofer
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